„Der Wert der Arbeit“. Podiumsdiskussion anlässlich des Films „Job-Center“ von Angela Summereder im „Cinema Paradiso“ in St. Pölten

Podiusmdiskussion mit Publikum im Kinosaal

Über den gesellschaftlichen Stellenwert von Arbeit und Arbeitslosigkeit, Chancen und Widersprüche im Umgang mit Arbeitslosigkeit und die Notwendigkeit wirklich qualitativer Absicherung von Angeboten wie „Bewerbungscentern“ für Arbeitsuchende diskutierten auf dem Podium: Die Filmemacherin Angela Summereder, Marion Carmann (stv. Geschäftsführerin des AMS NÖ), Alois Huber (FH St. Pölten), Claudia Tschernutter (AKNÖ-Arbeitsmarktexpertin), Karl Kral (bfi NÖ) und Krista Susman (Geschäftsführerin zb).

Die Filmemacherin Angela Summereder formulierte das Anliegen, mit dem Film „komplexe Zusammenhänge einfach darzustellen – was sich als sehr schwer erwiesen hat“- und thematisierte systemimmanente Widersprüche, die sich an der Schnittstelle zwischen den Anliegen Arbeitsuchender, dem Auftraggeber AMS und durchführenden Bildungsträgern gewollt und ungewollt ergäben. Marion Carmann verwies auf die guten TeilnehmerInnenbewertungen, die das AMS bei KundInnenbefragungen erhalte und unterstrich den Arbeits-Vermittlungsauftrag, den das AMS seitens des Gesetzgebers habe ebenso, wie die im EU-Vergleich niedrigste Arbeitslosenrate in Österreich. Claudia Tschernutter forderte verbesserte One-Desk-Dienstleistungen, Karl Kral verwies auf die Vielfältigkeit der Fachschulungen, die ebenfalls im Auftrag des AMS durchgeführt würden. Alois Huber stellte die Sinnhaftigkeit von soft-skills-Schulungen als „Zurichtung für den Arbeitsmarkt“ grundsätzlich in Frage und kritisierte den Umstand, dass die Daten der im Film gezeigten Personen nicht anonymisiert wurden. Krista Susman hob die großen qualitativen Unterschiede zwischen den pädagogischen Konzepten von Bildungsträgern hervor, formulierte die Notwendigkeit, die eigene Haltung einem laufenden Reflexionsprozess zu unterziehen und die Angebote ebenso auf ihre emanzipatorischen als auch (unbeabsichtigten) unterdrückerischen Wirkweisen selbstkritisch zu überprüfen, um schließlich für „absichtsfreie Kommunikationsräume“ und die Initiierung echter, das heißt: ergebnisoffener Lernprozesse zu plädieren. Renata Fuchs (GF zb) verdeutlichte u.a. die psychischen Folgewirkungen des gesellschaftlichen Ausschlusses von Arbeitslosen und das Ringen aller Beteiligten nach einem Platz in der Gesellschaft, wie der Film sichtbar gemacht habe. - Die Diskussion verlief insgesamt lebhaft, durchaus kontroversiell und unter reger Beteiligung des Auditoriums.
Einmal mehr wurde aber auch deutlich, dass die Frage nach dem Wert von Arbeit und Arbeitslosigkeit ebenso wie die Frage, wie wir als Gesellschaft leben wollen, eines fortwährenden gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses bedarf und nicht durch Abschiebung der Widersprüche an eine Institution aufgehoben werden kann. Diskussionen wie jene im Cinema Paradiso sind eine dieser zahllosen, so dringend notwendigen „Aushandlungsinseln“: Sie schaffen Öffentlichkeit. Wenn es dann noch gelänge, von der rhetorisch eingeübten Positionierung zu einem prozessorientierten öffentlichen Nachdenken zu gelangen, bestünde zumindest die Chance, auch das Verwobene, Komplexe, nicht sofort Auflösbare - also die Paradoxien unserer ‚Arbeitsgesellschaft‘- zunächst anzuerkennen, anstatt es, wie im öffentlichen Diskurs üblich, reflexartig zu verdrängen.  ‚Positionierung‘ als Einnehmen eines ‚Standpunktes‘ ist durch Unbeweglichkeit gekennzeichnet und dadurch gefährdet, anstelle von Fragen immer schon Antworten zu haben.  Gemeinsames Nachdenken hingegen müsste davon ausgehen, dass bisweilen die richtigen Fragen wichtiger sind, als vorgefertigte Lösungen– allerdings widerspricht das dem bürotechnokratischen Verdikt, dem wir uns (wenn auch widerstrebend) unterwerfen und erfordert daher eine bewusste Gegenhaltung dazu. Am Ende eines kollektiven Aushandlungsprozesses bzw. Nachdenkens könnte die längst notwendige Neubewertung der Erwerbsarbeit stehen und damit den zeitgemäßen (!) Lebensrealitäten endlich Rechnung tragen. Eine entsprechende gesellschaftliche Übereinkunft ist die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass Arbeitslosigkeit nicht gesellschaftliche Spaltung perpetuiert und den Ausschluss von Einzelnen bewirkt, sondern, im Gegenteil, Inklusion zum Ziel hat. Denn klar ist auch: Die Kosten der Spaltungen und des individuellen Bedrohungserlebens sind sowohl für die einzelnen als auch für die Allgemeinheit enorm – steigende Drop-Out-Quoten durch Burn-Out, Depression, Mobbing u.a. sprechen eine beredte Sprache. Das zu verändern ist eine gesellschaftliche Aufgabe, nicht allein die von Institutionen.
In diesem Sinne wird es noch vieler Diskussionen und Gespräche bedürfen. „Cinema paradiso“ wäre dabei nicht das schlechteste Motto, unter das sich der Versuch einer Wiederaneignung von Utopie bzw. Utopiefähigkeit stellen kann – denn nicht zuletzt geht es um Bilder, die perpetuiert oder durchbrochen werden. Angela Summereder ist mit ihrem  Film „Jobcenter“ eine wichtige Impulsgeberin zu einer öffentlichen Debatte. Die Differenzierung obliegt wie immer den DiskursteilnehmerInnen. [K.S.]

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