Neue Selbständigkeit als Karriereversprechen: Von der Utopie der Freiheit und der Realität des Patchworking

von Krista Susman

„Money, get away. Get a good job with good pay and you’re okay”
dröhnen Pink Floyd unter der Geräuschkulisse klingelnder Registrierkassen aus den Laut-sprecherboxen. 17. September 2004. Der Ostarrichisaal im Landhaus St. Pölten ist gesteckt
voll, über die Leinwand zieht ein Kinovorspann und kündigt die Stars und die special guests an. „Für eine handvoll Dollar...“ lautet der Titel der Tagung, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit dem Ansteigen sog. „Patchworkarbeitsverhältnisse“ befasst. Insgesamt 130 Personen haben sich an diesem strahlenden Herbsttag im Regierungsviertel eingefunden.

Zita Küng, Ulrike Gschwandtner, Renata Fuchs und Christine Bauer-Jelinek sind die Hauptreferentinnen, die sich der Thematik annehmen – siehe weiter unten - und die Anwesenden in ihren Bann ziehen. (Bei so viel Spannendem wird im Auditorium schon mal freundlich darüber hinweg gesehen, dass just zu Beginn eines neuen Vortrags das Mikrofon nicht gleich will. „Ist meine Karriere als Popstar vorbei, bevor sie begonnen hat?“ fragt Renata Fuchs bang, was wegen des streikenden Mikrofons eben nur die in den vorderen Reihen hören können; aber dann geht es doch weiter, und die Popstarkarriere nimmt ihren Lauf... ). Gewinnbringend sind die Vorträge allemal, erkenntnistheoretisch, ökonomisch, soziologisch, psychologisch und bisweilen lebenspraktisch. „Wenn ich zum Beispiel“, empfiehlt Zita Küng, „legitimieren soll, warum ich etwas so und nicht anders tue, sage ich immer: 'Um zu sparen’, weil das beeindruckt alle immer, egal ob es eben passt oder nicht. Und dann fragt auch niemand mehr nach.“ (Es scheint so, als ob an dieser Stelle die Kugelschreiber besonders heftig über die vom AMS gestifteten Schreibblöcke kratzen. Aber ich mag mich irren.)

Die lebhaften Diskussionen um Arbeitsbedingungen, politische Verantwortungen, Trends auf dem Arbeitsmarkt, den psychologischen Arbeitsvertrag, die psychischen Auswirkungen moderner Arbeitsformen, unternehmerisches Selbstbewusstsein und Geschlechterdifferenz finden am Nachmittag im World-Café ihre Fortsetzung:
Unter 8 verschiedenen Filmtiteln laden die Gastgeberinnen sowieso zu Kaffee (den im übrigen die NÖ Versicherung ebenso wie das Mittagsbuffet bezahlt hat), vor allem aber zum Denken und Debattieren, zum Vagabundieren zwischen Tischen und Perspektiven, zum Sich-ins-Spiel bringen und dazu, sich auf dem Papiertischtuch vermittels bunter Marker zumindest passager zu positionieren.

„Career girls“ möchte die AMS-Gender-Beauftragte, Maria Aigner, sehen, Michaela Stockinger von der Agentur Spitzfindig gibt sich absolutistisch – mit ihr geht es „Ganz oder gar nicht“, während Christine Bauer-Jelinek nicht mehr „Allein gegen die Mafia“ antreten möchte. Eine „Stadt der Frauen“ entwirft Sabine Prokop von Kassandra, „True lies“ entlarvt Ulli Gschwandtner von solution. Zita Küng ist bereit, ihr Wissen zu teilen und verkündet „How to steal a million“, woran Renata Fuchs von zb wie von selbst mit „Lola rennt“ anschließt – und damit den Grundstein zu Uschi Rosenbichlers „Goldrausch“ legt.
Fragmente davon werden zurück ins Plenum getragen, in Form von Plakaten, kurzen Berichten, sogar eines virtuos vorgetragenen Rap-Gesangs. 

Bis es dann heißt: „Down by Law“ und illustre PodiumsteilnehmerInnen wie Sonja Zwazl (Präsidentin der WK NÖ), Karl Fakler (stv. GF AMS NÖ), Anna Ritzberger-Moser (BMWA) und, als Vertreter der GPA, Hannes Puwein unter der fachkundigen Moderation von Uschi Rosenbichler die vermuteten Interessen von PatchworkerInnen und die Angebote und Einschätzungen Ihrer jeweiligen Einrichtungen bzw. Institutionen diskutieren.
Die Debatten am Podium und im Plenum verlaufen durchaus leidenschaftlich und erwartungsgemäß kontroversiell. Einmal mehr wird deutlich, wie schwierig es ist, Veränderungs-Notwendigkeiten in einem Feld zu identifizieren, das so vielfältige Varianten birgt wie das „Patchworking“ und das gleichzeitig an den herkömmlichen Vorstellungen „richtiger Arbeit“, „richtiger UnternehmerInnen“ und „richtiger DienstnehmerInnen“ so haarscharf vorbeischrammt, dass sich der Gegenstand dem Diskurs an manchen Stellen immer wieder zu entziehen droht und zum Rückzug auf erprobte Positionen verführt.
Und obwohl der Eindruck entsteht, dass mehr als die angesetzten eineinhalb Stunden Podiumsdiskussion notwendig gewesen wären, um von der Positionierung zum Entwurf zu gelangen, entscheidet wie immer der „Final Cut“, wann Schluss ist: Nach den enthusiastischen Danksagungen der Moderatorin an die Mitwirkenden in allen Rollen von Auditorium über Podium, Rednerinnenpult, Kaffeehaustisch und bis hinter die Kulissen, beginnt der Kinoabspann über die Leinwand zu flimmern.
Der definitive Abschluss der Tagung gibt sich erkenntnisgeleitet:

„So you think you can tell
heaven from hell
blue skies from pain

can you tell a green field
from a cold steel rail
a smile from a veil?

sinnieren wieder Pink Floyd via Lautsprecherbox, jetzt eher reflexiv, oder hätten wir damals gesagt: melancholisch. Und während sich die Beteiligten von ihren Plätzen lösen um noch in kleinen Grüppchen die ein oder andere Frage mit Ausrufezeichen in den Raum zu werfen, nach Zigaretten, Visitenkarten, Handtelefonen und einem netten Wort zu kramen, die einen illuminiert, die anderen erschöpft, die dritten zufrieden. Während also solcherart Bewegung in die Menge kommt, formieren sich die ersten guten Vorsätze: Das ist erst der Anfang. Wir bleiben im Gespräch. Wir machen was.
„Wish you were here!“ rief im Kultfilm “Down by law” Roberto Benigni seinem ausbrechenden Häftlingskollegen nach.
„Glad you were here!“ sagt die Organisatorin Krista Susman im Namen von zb.
[ks]

P.S. “Wieso eigentlich”, fragt mich S. Tage später, “wieso eigentlich die Filmtitel?“ Ich kann das erklären. Ich besichtigte irgendwann im Mai den vollkommen leeren Ostarrichisaal im Landhaus. „Was für Sessel kommen hier rein“, will ich wissen. „Kinobestuhlung“, sagt Herr Weiss. „Wie jetzt“, sag ich, „Kinobestuhlung?“ - „Kinobestuhlung“, lässt sich Herr Weiss nicht beirren.
Als dann eine Weile später bei einer Besprechung Michaela Stockinger lapidar meint: „Ich komme mir vor wie in "Stirb langsam" und Renata Fuchs findet: „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ ist sowieso alles klar.

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